Auftraggeber kann auch schon vor Verzugseintritt kündigen!
(07.10.2016)
1. Der Auftraggeber kann den Bauvertrag aus wichtigem Grund kündigen, wenn Vertragsverletzungen des Auftragnehmers von solchem Gewicht vorliegen, dass eine Fortsetzung des Vertrags für ihn unzumutbar ist.
2. Das Recht zur Kündigung kann bereits dann bestehen, wenn die schwer wiegende Vertragsverletzung zwar noch nicht eingetreten, ihr Eintritt jedoch sicher ist. Denn es kann dem Auftraggeber nicht zugemutet werden, die Vertragsverletzung abzuwarten, um dann erst die rechtlichen Konsequenzen daraus zu ziehen.
3. Eine Kündigung kann somit auch erfolgen, wenn feststeht, dass der Auftragnehmer eine Vertragsfrist aus von ihm zu vertretenden Gründen nicht einhalten wird und diese Vertragsverletzung von so erheblichem Gewicht ist, dass eine Fortsetzung des Vertrags unzumutbar ist.
All dies hat das OLG Hamm mit Urteil vom 05.08.2013 - 17 U 148/11 (BGH, Beschluss vom 13.07.2016 - VII ZR 220/13 - Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen) entschieden.
Hintergrund der Entscheidung ist folgender:
Der Auftragnehmer (AN) wird auf Grundlage der VOB/B mit Fensterbauarbeiten beauftragt. Die Ausführung soll Ende Mai erfolgen. Es kommt zu Verzögerungen. Mitte Juni teilt der AN mit, er werde weite Teile seiner Leistung bis Ende des Monats und die Gesamtleistung bis Ende Juli fertig stellen. Der vom Auftraggeber (AG) mit der Bauüberwachung betraute Architekt teilt dem AN am 23.06. schriftlich mit, dass er die genannten Fristen als Nachfristen verstehe und fordert den AN zu deren Einhaltung auf, andernfalls behalte sich der AG rechtliche Schritte vor. Am 24.06. rügt der AG weitere Verzögerungen. Am 27.06. sucht der Architekt die Produktionsstätte des AN auf. Im Anschluss daran kündigt der AG den Bauvertrag außerordentlich. Der AN verlangt 51.300 Euro restlichen Werklohn.
Das OLG Hamm hat entschieden ohne Erfolg! Kündigt der AG den Bauvertrag wegen einer schuldhaft begangenen groben Vertragsverletzung des AN aus wichtigem Grund, entfällt dessen Anspruch auf die vereinbarte Vergütung für den noch ausstehenden Teil der Leistung. Hier war der AG zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, obwohl der AN die von ihm genannten Ausführungsfristen noch nicht überschritten hatte (siehe vorstehende Leitsätze). Denn nach den Umständen konnte und musste der AG davon ausgehen, dass der AN die von ihm Mitte Juni selbst genannten Termine, die angesichts des Schreibens des Architekten des AG vom 23.06. verbindlich vereinbart worden sind, bereits überschritten hatte bzw. weitere Fristen nicht würde einhalten können. Angesichts dieser schon eingetretenen Vertragsverletzung, der sicher drohenden weiteren Vertragsverletzungen sowie unter Berücksichtigung der Gesamtsituation war dem AG im Zeitpunkt seiner Kündigungserklärung ein Festhalten an dem Vertrag nicht mehr zumutbar.
Kündigungserklärungen vor Verzugseintritt sind für den AG jedoch risikobehaftet. Zunächst ist die Beantwortung der Frage, ob überhaupt Verzug vorliegt, bisweilen ausgesprochen schwierig zu beantworten, insbesondere, wenn keine eindeutigen Vertragstermine festgelegt wurden oder es bereits zu Behinderungen gekommen ist. Zudem trägt er das Prognoserisiko, dass sich die vereinbarten Termine trotz Ergreifung von Beschleunigungsmaßnahmen nicht "halten" lassen (siehe OLG Köln, IBR 2007, 1122 - nur online). Schließlich ist auch bei einer Kündigung aus wichtigem Grund grundsätzlich eine vorherige Kündigungsandrohung erforderlich (OLG Köln, a.a.O.). Liegen die Voraussetzungen für eine Kündigung aus wichtigem Grund nicht vor, wird die Kündigung als sog. freie Kündigung behandelt (BGH, IBR 2003, 595) und der AN erhält die vereinbarte Vergütung abzüglich ersparter Aufwendungen.