Begleitschäden (hier: zerkratzte Glasfassaden) können fiktiv berechnet werden!
(02.02.2019) Die Rechtsprechung des BGH zur Unzulässigkeit einer fiktiven Schadensberechnung beim werkvertraglichen Schadensersatzanspruch (IBR 2018, 196) ist auf sog. "Begleitschäden" nicht anwendbar. Ferner können die Kosten für die Planung und Überwachung von Schadensbeseitigungsmaßnahmen in der Regel mit 15% der Kosten für die eigentlichen Schadensbeseitigungsmaßnahmen veranschlagt werden. Im Einzelfall können aber auch lediglich 10% anzusetzen sein, so das LG München I, Urteil vom 09.11.2018 - 2 O 11810/16.
Der Auftraggeber (AG) beauftragte auf Basis der VOB/B den Auftragnehmer (AN) mit der Reinigung von Glasfassaden. Der AN gab den Auftrag an einen Nachunternehmer (NU) weiter. Dieser zerkratzte die Glasflächen durch unsachgemäße Verwendung sog. "abrasiver" Reinigungsmittel, vermutlich Glashobel, großflächig. Der AG verklagte daraufhin den AN und den NU gesamtschuldnerisch auf Zahlung einer Hauptforderung i.H.v. 30.000 Euro. Dieser Betrag setzte sich aus den erwarteten Kosten für den Austausch der beschädigten Scheiben und den damit verbundenen Nebenarbeiten zusammen.
Die Klage des AG gegen AN und NU hat überwiegend Erfolilg. AN und NU werden gesamtschuldnerisch auf Zahlung von 28.400 Euro verurteilt. Der NU hat durch die Verwendung des falschen Reinigungsmittels eine Pflichtverletzung vergangen. Sein Verschulden des NU wird dem AN zugerechnet. Bei den Glasschäden handelt es sich weder um einen Werkmangel noch um einen Mangelfolgeschaden. Der geschuldete Reinigungserfolg war ein gewisser Reinigungsgrad gewesen. Dieser wurde erreicht. Aus diesem Grund ist die Rechtsprechung des BGH zum fiktiven Schadensersatz im werkvertraglichen Mangelrecht (IBR 2018, 196) nicht einschlägig. Ein Kostenansatz von 15% (vgl. dazu OLG München, IBR 2013, 143) für Planungs- und Bauüberwachungsaufwand wird dem AG nicht zugesprochen, weil der vom Gericht hinzugezogene Sachverständige insoweit einen geringeren Betrag veranschlagt hatte.
Die (rechtskräftige) Entscheidung zeigt das Spannungsverhältnis auf, in dem sich die aktuellen Urteile des BGH zum fiktiven Schadensersatz im Werkvertragsrecht einerseits und Rechtsprechung zum allgemeinen und besonderen Schuldrecht andererseits bewegen. Durch eine Nachbesserung, also die erneute Reinigung der Scheiben, lassen sich die vorhandenen Kratzer nicht beseitigen. Die Entscheidung des LG München I steht mit dem Wortlaut des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB im Einklang. Nachdem für sog. "Begleitschäden" kein Kostenvorschuss nach § 637 Abs. 3 BGB verlangt werden kann (vgl. BeckOKG/Rast, Stand: 01.11.2018, BGB § 637 Rz. 133 und 200), ist ein Anspruch auf Zahlung eines fiktiven Schadensersatzes in derartigen Fällen der einzige Weg für den Auftraggeber, mit den Kosten für die Schadensbeseitigung nicht in Vorleistung treten zu müssen. Auf der anderen Seite besteht die für die Rechtsprechung des BGH grundlegende Gefahr der "Überkompensation" auch bei Begleitschäden.