Bröselsteinfall: OLG Düsseldorf stellt erstinstanzliches Urteil des Landgerichts Duisburg auf den Prüfstand und hält weiterhin eine Haftung der Fa. Xella International GmbH für möglich!
(03.12.2015) Nach unserem Kenntnisstand hat das Landgericht Duisburg bisher nur in einem Fall der dort anhängigen Klagen von Bröselsteingeschädigten gegen die Fa. Xella International GmbH ein Urteil verkündet. In diesem Fall hat die 10. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg (Urteil v. 20.03.2015 - 10 O 477/11) die Klage des Bröselsteingeschädigten auf Feststellung einer Schadensersatzverpflichtung abgewiesen.
Dieses eine erstinstanzliche Urteil ist jedoch nicht rechtskräftig und damit nicht endgültig. Denn gegen dieses Urteil hat der Bröselsteingeschädigte vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf das Rechtsmittel der Berufung eingelegt.
Für dieses nunmehr anhängige Berufungsverfahren ist beim OLG Düsseldorf der 5. Zivilsenat zuständig. Dieser hatte bereits in dem gleichen Klageverfahren damals mit dessen Beschluss vom 29.04.2013 (5 W 9/13) zu einer Prozesskostenhilfebewilligung eine „Segelanleitung“ für alle gerichtlichen Verfahren von Bröselsteingeschädigten abgegeben, unter welchen Voraussetzungen die Fa. Xella International GmbH auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden kann.
In diesem Berufungsverfahren fand nunmehr am 03.12.2015 die erste mündliche Verhandlung vor dem OLG Düsseldorf statt. In dieser wies das OLG Düsseldorf abermals darauf hin, dass in diesem Fall des Bröselsteingeschädigten eine Haftung der Fa. Xella International GmbH auf Schadensersatz wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung nach § 826 BGB möglich sei.
Das OLG Düsseldorf wies auf zwei voneinander unabhängige Haftungsansätze hin, nach denen die Fa. Xella International GmbH in diesem Fall nach § 826 BGB haften könnte:
1. Schadensmechanismus war kein „Exotenwissen“
In der ersten Instanz dieses Klageverfahrens vor dem LG Duisburg hat der gerichtlich beauftragte Sachverständige die beklagte Fa. Xella International GmbH entlastet. Laut diesem einen Gerichtssachverständigen soll deren Rechtsvorgängerin, die Fa. Haniel-Baustoffwerke GmbH, welche die Bröselsteine produziert und verkauft hatte, damals nicht gewusst haben, welcher wesentliche schädigende Prozess in einem als Kalksandstein bezeichneten Mauerwerksstein stattfindet, wenn bei dessen Herstellung der Branntkalk und/oder der Sand mit SAV-Produkten ersetzt werden und dann der Stein mit Wasser bzw. Feuchtigkeit in Berührung kommt.
Laut dem einen Gerichtssachverständigen der ersten Instanz sollen damals nur ganz wenige „Exoten“ von diesem Schadensmechanismus gewusst haben. Daraus hatte das Landgericht Duisburg erstinstanzlich den Schluss gezogen, dass der Bröselsteingeschädigte in dem Prozess nicht habe nachweisen können, dass die Fa. Haniel-Baustoffwerke GmbH damals bei der Produktion und dem Verkauf der Bröselsteine positive Kenntnis über diesen Schadensmechanismus hatte und trotz dieses Wissens die Bröselsteine in den Verkehr brachte.
Diese Ansicht des Sachverständigen greift der Bröselsteingeschädigte vor dem OLG Düsseldorf als unzutreffend an. Er hat insoweit dem OLG Düsseldorf unter anderem zwei Gutachten von zwei anderen gerichtlich beauftragten Sachverständigen vorgelegt. Diese haben in anderen Klageverfahren von Bröselsteingeschädigten vor dem LG Duisburg zu dieser Problematik bereits Gutachten erstellt. Insbesondere einer dieser Sachverständigen widerspricht insoweit der vorstehenden Ansicht von einem angeblichen „Exotenwissen“.
Auch hat der Bröselsteingeschädigte dem OLG Düsseldorf Auszüge aus der technischen Fachliteratur von damals vorgelegt, welche ebenfalls die vorstehende Ansicht des einen gerichtlichen Sachverständigen von einem damaligen angeblichen „Exotenwissen“ widerlegen sollen.
Sollte der Berufungskläger entsprechend dem nunmehr erteilten richterlichen Hinweis des OLG Düsseldorf den entsprechenden Inhalt dieser Gutachten und der Literatur noch substantiiert vortragen, müsste sich das OLG Düsseldorf laut seinem Hinweis in der mündlichen Verhandlung vom 03.12.2015 mit diesen sich widersprechenden Ansichten der Sachverständigen in einer Fortsetzung der Beweisaufnahme befassen mit einem dann noch offenen Ergebnis. Je nach Ausgang dieser Beweisaufnahme ist laut dem OLG Düsseldorf eine Haftung der Fa. Xella International GmbH auf Schadensersatz wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung nach § 826 BGB dann möglich.
2. Kalksandstein mit SAV-Produkten ist ein neues Bauprodukt
Ferner wird laut dem Hinweis des OLG Düsseldorf in der mündlichen Verhandlung nachstehender zweiter Haftungsansatz für möglich gehalten.
Laut dem OLG Düsseldorf wurde damals von der Fa. Haniel-Baustoffwerke GmbH bei der Kalksandsteinproduktion ein ganz wesentlicher Bestandteil, der Branntkalk und/oder der Sand, durch SAV-Produkte ersetzt und gerade nicht nur ein unwesentlicher Zuschlagstoff nach der DIN 106. Es hat somit damals eine grundlegende Änderung der Rezeptur stattgefunden. Es könnte sich demnach laut dem OLG Düsseldorf bei den so produzierten Bröselsteinen mit SAV-Produkten gar nicht um Kalksandsteine im Sinne der damals geltenden DIN 106 handeln, sondern um ein "anderes" bzw. "neuartiges" Bauprodukt, was unstreitig weder eine "allgemeine bauaufsichtliche Zulassung" noch eine "Zulassung im Einzelfall" nach der damals geltenden Musterbauordnung (MBO) hat. Auch ist unstreitig, dass eine solche Zulassung damals nicht einmal beantragt worden ist.
Hintergrund insoweit ist, dass nach der damals geltenden Musterbauordnung (MBO) Bauprodukte, für die keine technische Regeln existieren oder die wesentlich von den in der Bauregelliste bekannt gemachten technischen Regeln abweichen oder neu sind, als „nicht geregeltes Bauprodukt“ bezeichnet werden und sich dann die Verwendbarkeit nicht geregelter Bauprodukte aus einer entsprechenden allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung (kurz ABZ) ergeben muss. Eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung kann in Deutschland ausschließlich vom Deutschen Institut für Bautechnik (DIBt) auf Antrag erteilt werden. Vor Erteilung einer ABZ für ein Bauprodukt müssen alle wichtigen Aspekte geprüft worden sein, insbesondere die Sicherheit betreffende Eigenschaften und Einflüsse. Dazu gehören auch die Standsicherheit und die langfristige Verkehrssicherheit. Rechtsgrundlage für die ABZ ist die Musterbauordnung (MBO).
Es müsste demnach laut dem OlG Düsseldorf in einer fortzusetzenden Beweisaufnahme die insoweit technische Frage beantwortet werden, ob der mit SAV-Produkten produzierte und damals als Kalksandstein verkaufte Mauwerksstein ein neues Bauprodukt im Sinne der MBO war, über das zum Zwecke der Nachweisbarkeit seiner Mangelfreiheit bzw. Funktionstauglichkeit zeitlich vor seinem Inverkehrbringen eine bauaufsichtlichen Zulassung zwingend hätte eingeholt werden müssen, dies jedoch unstreitig damals unterlassen worden ist und unstreitig nicht einmal beantragt wurde.
Sollte es sich tatsächlich um ein neues Bauprodukt gehandelt haben und die Fa. Haniel-Baustoffwerke GmbH damals gewusst haben, dass für dieses neue Bauprodukt vor seinem Inverkehrbringen eine bauaufsichtlichen Zulassung hätte eingeholt werden müssen, was jedoch unstreitig nicht einmal von dieser beantragt worden ist, könnte laut dem OLG Düsseldorf aus diesem Grund eine Haftung der Fa. Xella International GmbH auf Schadensersatz wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung nach § 826 BGB möglich sein. Insoweit wäre für das OLG Düsseldorf haftungsrelevant, dass damals dieses mit SAV-Produkten produzierte neue Bauprodukt einfach weiter als „Kalksandstein nach DIN 106” mit einem Zusatzstempel „DIN 106 überwacht“ des Güteschutz Kalksandstein verkauft worden ist. So steht es auch auf den Lieferscheinen von damals. Dies hat gegenüber den damaligen Käufern der Steine dann einen unzutreffenden Eindruck vermittelt, nämlich dass es sich bei diesen Steinen um einen bekannten und beprobten Stein gehandelt haben soll.
Sollte sich dieser Sachverhalt in einer fortzusetzenden Beweisaufnahme vor dem OLG Düsseldorf bestätigen, hätte laut dem OLG Düsseldorf damals die Fa. Haniel-Baustoffwerke GmbH bei der Produktion und dem Inverkehrbringen dieser Bröselsteine zumindest bewusst die Möglichkeit eines durch die Steine hervorgerufenen Schadens beiseite geschoben, was für eine Haftung der Fa. Xella International GmbH auf Schadensersatz wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung nach § 826 BGB ausreichen soll. Insoweit hat das OLG Düsseldorf in der Verhandlung darauf hingewiesen, dass die Fa. Haniel-Baustoffwerke GmbH damals als produzierender Hersteller wissen musste, was z. B. in der Musterbauordnung an Anforderungen steht und hiernach bestimmte Zulassungsverfahren zwingend durchgeführt werden müssen, wenn es sich um ein neues Bauprodukt gehandelt hat, und für diesen Fall nicht dieses neue Produkt als „Kalksandstein nach DIN 106” hätte bezeichnen und nicht mit einem Zusatzstempel „DIN 106 überwacht“ hätte versehen dürfen.
Nunmehr haben die Parteien des Berufungsverfahrens erst einmal bis zum 01.02.2016 von dem OLG Düsseldorf Zeit bekommen, zu den zahlreichen in der mündlichen Verhandlung vom 03.12.2015 erteilten mündlichen Hinweisen schriftlich gegenüber dem OLG Düsseldorf Stellung zu nehmen. Dann wird das OLG Düsseldorf mitteilen, wie das Berufungsverfahren fortgesetzt werden wird, aller Voraussicht nach mit einer Fortsetzung der erstinstanzlichen Beweisaufnahme nunmehr vor dem OLG Düsseldorf durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den entscheidungserheblichen und noch zu beantwortenden technischen Fragen.
Vorstehender Sachstand des Berufungsverfahrens vor dem OLG Düsseldorf zeigt, dass bisher in den zahlreichen Klageverfahren vor den Zivilgerichten noch nichts zu Lasten der Bröselsteingeschädigten endgültig entschieden ist und auch das vielfach von der Fa. Haniel Immobilien GmbH & Co. KG bemühte erstinstanzliche Urteil des LG Duisburg vom 20.03.2015 (10 O 477/11) einer intensiven Überprüfung durch das OLG Düsseldorf in diesem Berufungsverfahren entgegen sieht.