Nachtragsforderung streitig: Vertragsdurchführung geht vor Preisgewissheit!
(30.07.2017) Aus der Vorleistungspflicht des Unternehmers im Bauvertrag folgt der Grundsatz "Vertragsdurchführung geht vor Preisgewissheit". Der Unternehmer darf seine Leistung deshalb nicht allein aus dem Grund verweigern, dass ihm der Besteller einen umstrittenen Nachtrag nicht zubilligt. Ein Grund zur Leistungsverweigerung entsteht erst dann, wenn der Besteller in Verzug mit der Zahlung tatsächlich fälliger Abschlagszahlungen gerät, die allerdings auch für die Ausführung umstrittener Nachträge begründet werden können, so das KG in seinem Urteil vom 13.06.2017 - 21 U 24/15 (nicht rechtskräftig).
Der mit der Ausführung von Betonarbeiten beauftragte Auftragnehmer (AN) macht am 20.11.2012 eine Nachtragsforderung für den Einbau einer bereits zum Auftragsumfang gehörenden Elementtreppe geltend und verlangt vom Auftraggeber (AG) die Stellung einer § 648a-BGB-Sicherheit über 78.800 Euro bis 27.11.2012. Der AG weist den Nachtrag zurück und fordert den AN auf, bis zum 22.11.2012 einen verbindlichen Termin für die Treppenmontage zu benennen. Nachdem dies nicht bis zum 23.11.2012 geschieht, kündigt der AG nach § 8 Abs. 3 VOB/B. Zu Recht?
Entscheidung Nein! Die Nachtragsforderung ist zwar unbegründet und der AN deshalb nicht zur Einstellung der Arbeiten berechtigt (siehe Leitsatz). In Ermangelung einer angemessenen Frist zur Benennung eines verbindlichen Montagetermins ist die Kündigung des AG jedoch unwirksam (vgl. IBR 2017, 425 - in diesem Heft).
Der AG hat vorliegend offenbar die Nerven verloren. Streitigkeiten über Nachträge berechtigen den AN nämlich grundsätzlich nicht dazu, seine Leistungen einzustellen (siehe z. B. OLG Frankfurt, IBR 2011, 690).
Etwas anderes gilt dann, wenn der AG die Beauftragung eines berechtigten und prüfbar angebotenen Nachtrags grundlos verweigert (siehe BGH, IBR 2004, 486; OLG Bremen, IBR 2010, 434; OLG Düsseldorf, IBR 1999, 203). Das sollte man als Bauherr nicht tun. Denn der AG ist im VOB-Vertrag jederzeit gem. § 1 Abs. 3, 4 VOB/B dazu berechtigt, Änderungs- und Zusatzleistungen "dem Grunde nach" zu beauftragen. Dann muss der AN aufgrund seiner werkvertraglich bestehenden Vorleistungspflicht diese Leistungen auch ohne eine Vereinbarung über die Nachtragshöhe ausführen, zumal sein Anspruch auf Mehr- oder Zusatzvergütung aus § 2 Abs. 5, 6 VOB/B mit der Anordnung quasi automatisch entsteht (vgl. KG, IBR 2016, 568).
Stellt sich im Nachhinein allerdings heraus, dass es sich bei der beauftragten "Nachtrags"-Leistung um bereits vom ursprünglichen Werkvertrag umfasste und dementsprechend mit der vereinbarten Vergütung bereits abgegoltene Leistung handelt, kann der AN diese in der Regel nicht aufgrund einer Nachtragsvereinbarung ein zweites Mal bezahlt verlangen.
Anders kann es aussehen, wenn der AG in der Nachtragsvereinbarung eine gesonderte Vergütungspflicht selbstständig anerkennt oder die Vertragsparteien sich gerade in Ansehung dieser Frage vergleichen (BGH, IBR 2005, 358; OLG Celle, IBR 2004, 671; a. A. OLG Koblenz, IBR 2016, 685, und IBR 2006, 1513 - nur online).
Dementsprechend enthalten auch Abschlagszahlungen auf in der Sache unberechtigt gestellte Abschlagsrechnungen keine Aussage des AG dahingehend, den Bestand der erfüllten Forderungen außer Streit stellen zu wollen (OLG Dresden, IBR 2014, 132) und anzuerkennen. Der AG kann also durchaus einen (nicht berechtigten) Nachtrag beauftragen, eine darauf gestützte Abschlagsrechnung bezahlen und die geleistete Nachtragszahlung später von der Schlussrechnung des AN abziehen. Als Unwägbarkeiten verbleiben das Risiko einer Insolvenz des AN und die (zuvor zitierte) Rechtsprechung des OLG Koblenz.