Tel: 028 41 - 88 2770
Was heißt "neuester Standard der Technik"?

Was heißt "neuester Standard der Technik"?

(14.01.2017) Haben Erwerber und Bauträger vereinbart, dass ein Bestandsgebäude komplett nach "neuestem Standard der Technik" ausgebaut wird, soll das Bauwerk zum Zeitpunkt der Abnahme den derzeit geltenden (und nicht nach den ursprünglich bei Erstellung des Bestandsgebäudes geltenden) anerkannten Regeln der Technik entsprechen, so das OLG München in dessen Urteil vom 28.07.2015 - 28 U 3070/13 Bau (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgenommen).

Die Parteien eines Bauträgervertrags streiten über die Frage, ob die Bodenplatte eines sanierten und veräußerten Bestandsgebäudes mangelfrei gegen Bodenfeuchtigkeit abgedichtet ist. In der Baubeschreibung wurde ein Ausbau des Gebäudes komplett nach dem "neuesten Standard der Technik" vereinbart. Der vorab in einem selbständigen Beweisverfahren beauftragte Sachverständige stellte fest, dass eine Bodenabdichtung gemäß DIN 18195 durch Heranführung der Bodenplatte an die Horizontalabdichtung oder Verklebung nicht existiert. Der auf Vorschuss zu Mängelbeseitigung in Anspruch genommene Bauträger versucht sich u. a. mit der Einwendung zu verteidigen, dass nach heutiger Erkenntnis in vergleichbaren Fällen wie hier überhaupt keine solche Abdichtung notwendig sei. Streitentscheidend stellt sich somit die Frage, was die Parteien mit der Anforderung "neuester Standard der Technik" im Sinne der Vertragsauslegung gemeint haben.

Das Gericht kommt zu dem Ergebnis, dass insbesondere aufgrund der Verwendung des Terminus "Standard" die anerkannten Regeln der Technik gemeint seien, die sich durchgesetzt und hier in der (zumindest zum maßgeblichen Zeitpunkt die anerkannten Regeln der Technik repräsentierenden) DIN 18195 vorgeschrieben sind. Gemeint seien mit der getroffenen Formulierung objektiv nicht die neuesten Erkenntnisse und Verfahren, die über diese praktische Bewährung dagegen noch nicht verfügen. Bezüglich des Zeitpunkts, zu welchem die diesbezüglichen anerkannten Regeln der Technik gelten müssen, stellt das Gericht auf den Zeitpunkt der Abnahme ab.

Die Crux hinter einem vermeintlichen Terminus Technicus als vertragliche Qualitätsvereinbarung wird umso deutlicher, als sich selbst das hier entscheidende (Berufungs-)Gericht nicht nach den Termini der Drei-Stufen-Theorie des BVerfG (BVerfGE 49, 89 - "Kalkar-Entscheidung") richtet (Anerkannte Regeln der Technik/Stand der Technik/Stand von Wissenschaft und Technik.) Die in der Baupraxis häufig vorkommende Gleichsetzung von "Anerkannten Regeln der Baukunst" bzw. "Anerkannten Regeln der Technik" und dem "Stand der Technik" entspricht dieser Drei-Stufen-Theorie des öffentlichen Rechts nicht (s. BVerwG, Beschluss vom 04.08.1992 - 4 B 150/92) Dies allein birgt schon die Gefahr von Wertungswidersprüchen und Unklarheiten hinsichtlich der Geltung von technischen Regeln und Regelwerken für das vertraglich geschuldete Soll. Werden solche Termini nun auch noch im Vertrag modifiziert oder "neu erfunden", ist die Notwendigkeit der gerichtlichen Auslegung im Streitfall kaum noch vermeidbar (Folge hier: Das Wort "Standard" statt "Stand" entscheidet gegebenenfalls über eine völlig andere Qualitätsstufe und Geltung anderer technischer Regeln.) Interessant ist die Entscheidung in zweiter Linie, weil sie zeigt, dass der (gegenüber dem Standard neuere) Stand der Technik für den Auftraggeber/Besteller nicht per se "besser" sein muss - fehlt es doch an der längeren Bewährung in der Praxis gegenüber den "anerkannten Regeln der Technik" und eventuell damit verbundener höherer oder längerfristiger Funktionssicherheit.