Wer nicht fragt, verliert!
(18.01.2018) Die teil-funktionale Ausschreibung (hier: funktional beschriebene Einzelposition in einem ansonsten detaillierten Leistungsverzeichnis) ist eine vergaberechtlich mögliche und zulässige Ausschreibungsvariante. Unklarheiten des Leistungsverzeichnisses, die einer zuverlässigen Kalkulation entgegenstehen, darf der Bieter bzw. spätere Auftragnehmer nicht einfach hinnehmen, sondern muss sich daraus ergebende Zweifelsfragen vor Angebotsabgabe klären. Obliegt es nach dem eindeutigen Wortlaut der Ausschreibung dem Bieter bzw. späteren Auftragnehmer, die statischen und konstruktiven Erfordernisse zu ermitteln, gehört hierzu auch die Menge des einzubauenden Stahls, so das OLG Celle in seinem Urteil vom 15.03.2017 - 14 U 42/14.
Der Auftragnehmer (AN) wird nach öffentlicher Ausschreibung mit der Errichtung einer Straßenüberführung beauftragt. Unter Position 10 des Leistungsverzeichnisses (LV) heißt es: "Betonstahl entsprechend statischen und konstruktiven Erfordernissen einbauen. Bauteil = Überbau. Stahlsorte BST 500 S." Als Menge sind "45,00 t" angegeben. Tatsächlich werden 62,677 t Stahl benötigt und verbaut. Die Stahlmehrmengen werden vom Auftraggeber (AG) bezahlt. Der AN verlangt die Erstattung von Mehrkosten wegen aufwändigerer und längerer Arbeiten durch die zusätzlich einzubringende Menge an Stahl in Höhe von über 100.000 Euro.
Ohne Erfolg! Das Risiko der tatsächlich zu verbauenden Betonstahlmenge ist vom AN zu tragen. Die Ausschreibung zu Position 10 ist einer vergaberechtlich zulässigen funktionalen Leistungsbeschreibung vergleichbar (vgl. OLG Celle, IBR 2005, 520). Bestimmtheit und Transparenz der geforderten Leistung sind nicht zu beanstanden. Es wird vom Wortlaut her unmissverständlich klargestellt, dass vom AN statische und konstruktive Erfordernisse für das Bauteil Überbau zu beachten sind. Bei ihrer Kalkulation waren die Bieter folglich gehalten, sich selbstständig Gedanken über die statischen und konstruktiven Grundlagen für das Bauteil Überbau, hier den Einbau von Betonstahl, zu machen. Der AN wusste, dass er die Statik selbst erstellen musste, was er - zu einem späteren Zeitpunkt - auch getan hat. An der Einordnung der Ausschreibung als teilfunktional ändert sich nicht dadurch etwas, weil das vom AG erstellte LV neben der Bestimmung der Stahlsorte "BSt 500 S" auch den Vordersatz "45 t" enthält. Der AN durfte sich jedoch nicht auf die Richtigkeit des Massenvordersatzes verlassen. Denn die Betonmenge richtet sich nach den statischen Erfordernissen. Dann musste dem AN als Fachfirma klar sein, dass die Mengenangabe von 45 t seitens der Beklagten ohne zuvor erstellte Statik und Konstruktionskonzeption nur einen Richtwert vorgab. Bei Zweifeln über die Bestimmtheit des LV hätte der sich beim AG erkundigen müssen, was es mit der Mengenangabe von 45 t auf sich hatte. Unklarheiten des LV, die einer zuverlässigen Kalkulation entgegenstehen, darf der Bieter nicht einfach hinnehmen, sondern muss sich daraus ergebende Zweifelsfragen vor Angebotsabgabe klären. Hierfür bestand im konkreten Fall Anlass, weil ein konkreter Vordersatz und ein Einbau "entsprechend statischen und konstruktiven Erfordernissen" einander widersprechen.
Vergaberecht ist kein Vertragsrecht (BGH, IBR 2017, 419). Ein etwaiger Verstoß gegen vergaberechtliche Vorschriften hat deshalb keinen Einfluss auf den Inhalt des geschlossenen Bauvertrags. Ist ein Bieter der Meinung, dass die Ausschreibung unklar ist oder ihm ein ungewöhnliches Wagnis übergebürdet wird, muss er nachfragen und den Vergaberechtsverstoß ggf. rügen (§ 160 Abs. 3 GWB).