Wie gewonnen, so zerronnen - wertlose Bausicherheiten
(18.04.2017) Der Bundesgerichtshof hat in jüngerer Zeit in mehreren Entscheidungen eine Vielzahl von Sicherungsvereinbarungen, die insbesondere von der öffentlichen Hand verwendet werden, mit dem Verdikt der Nichtigkeit belegt. Die Bedeutung dieser Entscheidungen wird nach unseren Erfahrungen nach wie vor unterschätzt.
Ausgangslage
In Bauverträgen wird regelmäßig eine Sicherheit für die Vertragserfüllung und eine Sicherheit für Mängelansprüche zu Gunsten des Auftraggebers vereinbart. In aller Regel werden die Sicherheitseinbehalte durch entsprechende Bürgschaften abgelöst. Wird der Bürge in Anspruch genommen, kommt es nicht selten zu einer bösen Überraschung für den Auftraggeber: Der Bürge beruft sich darauf, dass die Sicherungsvereinbarung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer unwirksam sei mit der Folge, dass der Bürge nicht zahlen muss. Letzteres ergibt sich aus dem sog. Akzessorietätsgrundsatz (§ 768 Abs. 1 BGB), der sicherstellt, dass der Bürge nicht mehr als der Hauptschuldner zu leisten hat (so bereits BGH, Urt. v. 12.03.1980, VIII ZR 115/79).
Die Urteile des BGH vom 01.10.2014 und 22.01.2015
Die Entscheidungen des BGH vom 01.10.2014 (VII ZR 164/12) und 22.01.2015 (VII ZR 120/14) führen dazu, dass eine Vielzahl von Sicherungsvereinbarungen, die auf Grundlage der Formulare des Vergabehandbuchs des Bundes verwendet wurden, nichtig sind.
Nach dem Gesetz ist der Werklohn in voller Höhe bei der Abnahme des Werks zu entrichten und ab diesem Zeitpunkt zu verzinsen, § 641 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 BGB. Ein Einbehalt für die Dauer der Gewährleistung ist nicht vorgesehen. Auf der anderen Seite steht jedoch das Interesse des Auftraggebers an einer angemessenen Sicherheit für die nach dem Gesetz erst fünf Jahre nach Abnahme des Werks in Verjährung fallenden Mängelansprüche. Diese widerstreitenden Interessen hat die Rechtsprechung dahin aufgelöst, dass entsprechende Klauseln des Auftraggebers in AGB nur dann wirksam sind, wenn dem Auftragnehmer eine "angemessene Alternative" zu dem Einbehalt eingeräumt wird. Dabei kann Sicherheit nicht in beliebiger Höhe verlangt werden. Während der BGH ein Sicherungsverlangen von 5 % nach der Abnahme als unkritisch betrachtet, ist eine Klausel in AGB, nach der 7 % an Sicherheit geleistet werden müssen, zu hoch (BGH, Urteil vom 01.10.2014, VII ZR 164/12).
Die Besonderheit der angesprochenen Entscheidungen liegt nun darin, dass für sich genommen unkritische Sicherungsvereinbarungen für die Vertragserfüllung einerseits, und die Mängelansprüche andererseits, in Verbindung miteinander dazu führen, dass die Sicherungsvereinbarung insgesamt unwirksam ist. Beanstandet werden Klauseln wie diese:
"Nach Abnahme und Erfüllung aller bis dahin erhobenen Ansprüche einschließlich Schadenersatz kann der Auftragnehmer verlangen, dass die Sicherheit für die Vertragserfüllung in eine Mängelansprüchesicherheit umgewandelt wird."
Beträgt - wie häufig - die vereinbarte Sicherheit für die Vertragserfüllung 5 % und die Sicherheit für Mängelansprüche 3 %, dann ist es nach dem Wortlaut dieser Klausel möglich, dass über einen namhaften Zeitraum nach der Abnahme hinaus die Vertragserfüllungssicherheit nicht herausgegeben werden muss und gleichzeitig bereits die Mängelansprüchesicherheit verlangt werden kann. Denn der Auftraggeber kann nach dem Wortlaut der Klausel allein durch das Erheben von Ansprüchen, ohne dass deren Berechtigung feststünde, die Herausgabe der Vertragserfüllungssicherheit hinausschieben (so bereits: OLG Karlsruhe, Urteil vom 06.08.2013, 19 U 99/12). Im Beispielsfall kann die Kumulation zu einem Einbehalt von 8 % nach der Abnahme führen - das ist zu viel.
Auch die aktuellste Entscheidung des BGH zum Thema Bausicherheiten vom 30.03.2017 (VII ZR 170/16) bestätigt die Tendenz der Rechtsprechung, übermäßigen Sicherungsverlangen einen Riegel vorzuschieben: Gewährleistungssicherheiten, die der Höhe nach nicht zu beanstanden wären, sind danach unwirksam, wenn die Ablösungsmöglichkeit des Sicherheitseinbehalts davon abhängig gemacht wird, dass wesentliche Mängel vollständig beseitigt sind. Diese Einschränkung geht dem BGH zu weit.
Auftraggeber verteidigen sich häufig damit, dass es tatsächlich gar nicht zu der Übersicherung gekommen sei. Darauf kommt es aber nicht an. Denn es geht bei der Frage, ob die Klausel unwirksam ist, allein darum, ob es nach dem Wortlaut der Klausel zu einer Übersicherung kommen kann.
Die Folgen
Ist die Sicherungsvereinbarung unwirksam, kann der Auftraggeber keine Sicherheit verlangen. Eine bereits erhaltene Sicherheit muss der Auftraggeber zurückgeben. Tut er dies nicht innerhalb einer vom Auftragnehmer gesetzten Frist und kommt er mit der Rückgabe der Bürgschaftsurkunden in Verzug, hat er außerdem die Avalkosten des Auftragnehmers zu tragen (BGH, Urteil vom 26.03.2015, VII ZR 92/14).
Selbst wenn Mängel an der Werkleistung bestehen, kann sich der Auftraggeber nicht auf ein Zurückbehaltungsrecht an der so erlangten Bürgschaftsurkunde berufen. Denn ein Zurückbehaltungsrecht würde dem Sinn und Zweck des AGB-Verbots zuwiderlaufen, die unangemessene Benachteiligung würde perpetuiert (OLG Karlsruhe, Urteil vom 26.11.2003, 7 U 135/00).
Ein unberechtigt vorgenommener Sicherungseinbehalt kann auch gefährlich werden: Verkennt der Auftraggeber die Rechtslage und behält z.B. von einer Abschlagsrechnung einen Teilbetrag als Sicherheit ein, weil er sich hierfür gemäß § 17 Abs. 2, 6 VOB/B für berechtigt hält, liefert er dem Auftragnehmer einen Kündigungsgrund gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 VOB/B.
Auftraggeber sind gut beraten, die Werthaltigkeit ihrer Sicherungsvereinbarungen anhand der aktuellen Rechtsprechung zu prüfen. Für Auftragnehmer bietet diese Rechtsprechung die Chance, herausgereichten Bürgschaften zurück zu holen - selbst wenn Mängelansprüche im Streit sind - und damit sowohl den Avalkreditrahmen zu erweitern und die Avalkosten zu senken.